Es ist Sommer! Sommer-Sonnen-Wende! Um Mitternacht, als ich zu Bett ging, war noch ein heller Schein der untergegangenen Sonne am Himmel zu sehen. Jetzt, um 4:30 Uhr, ist es schon wieder fast hell. Wahrscheinlich war es in dieser Nacht gar nicht richtig dunkel hier am nördlichsten Teil von Deutschland in den Dünen von List auf Sylt.

Ich bin plötzlich ganz wach zu dieser frühen Stunde und weiß, ich will den Aufgang der Somme-Sonnen-Wende-Sonne sehen!!! Gestern beim Wetter-Check habe ich gelesen: Um 4:46 Uhr soll er sein. Nun bin ich von selbst aufgewacht??? Ich bin sonst eher und ganz gerne eine Langschläferin. Da ich nun schon wach bin, ziehe ich mich geschwind an – das, was noch von gestern da liegt – keine Zeit – und schnappe mir eine warme Jacke. Dann eile ich durch den Garten zum Ost Strand, wo sonst immer die Sonne aufgeht. Aber weit gefehlt! Die Sonne ist nicht dort und wird auch nicht dort aufgehen. Sie steht so weit im Norden, dass sie für mich nicht über dem Wattenmeer aufgehen wird. Doch überwältigt von der Stimmung des frühen Morgens mache ich Fotos von dem in wundervoller Stille sich bis zum Horizont ausbreitenden Meer, über dem in der Ferne ein paar Wolken ziehen. Aber keine Sonne! Ich verweile noch einige glückliche Momente und genieße die unendliche Weite.

Warten auf die Sonne

Dann mache ich mich auf, die Sonne zu suchen. Vorbei an den Heckenrosen, die pink und weiß in der Morgendämmerung leuchten und köstlich duften, vorbei an Holunderbüschen, die auch ihren herrlichen Duft zu dieser frühen Stunde ganz besonders intensiv verströmen, vorbei an den verträumt den Dünen verstreuten Reetdach-Häusern.

Ich kenne eine sehr hohe Düne, von der aus ich „beide Meere“, wie ich sie immer nenne, sehen kann, das Wattenmeer und die offene Nordsee.

Begleitet vom Schrei eines Fasans versteckt in der Heide und fernen Kuckucksrufen, die von den Häusern herüberschallen, erreiche ich über einen Trampelpfad durch das Heidekraut meine Lieblings-Düne.

Sie ist endlich da, die Sonne!

Von dort aus sehe ich endlich die Sonne aufgehen. Für mich ist es immer wieder ein bewegender und spannender Augenblick. Was für eine Erscheinung! Welch wunderschönes Licht! Welch überwältigende Energie! Sie durchströmt, erwärmt und erfasst mich ganz.

So sehr ich unsere Zweisamkeit liebe, freue ich mich heute, dass ich alleine mit mir da bin. Ich lasse mich auf einem weichen Polster aus Moos nieder, und es ist mir gleichgültig, ob das Moos vielleicht auf meine Hose abfärbt. Wieder schreit der Fasan – jetzt ganz in der Nähe. Er ist auch schon unterwegs. Normalerweise schlafe ich ja um diese Zeit. Deshalb wundere ich mich, was schon um diese Zeit alles passiert. Ich erkenne: die Welt dreht sich weiter, egal ob ich schlafe oder wache, ob ich es bemerke oder nicht, ob ich da bin oder nicht.

Der tief rotgoldene Glanz der Morgensonne scheint mir direkt ins Herz und erhellt meine Seele. Ich fühle mich ganz verbunden und beobachte, rieche, fühle. Sehe, dass die Sonne, die sich mir anfangs mit einem kleinen Schimmer am nördlichen Horizont nur zögerlich zeigt, jetzt immer mehr zu sehen ist, bis sie voll über den Dünen steht. Das Spiel von hellem Sonnenschein und tiefen Schatten ist faszinierend und zeigt klare scharfe Grenzen zwischen strahlender Helligkeit und tiefer Dunkelheit, in der das dunkelgrüne, fast schwarze Heidekraut in den Dünentälern liegt.

Auch die Möwen genießen diesen inzwischen in der Sonne schon schön warmen Sommermorgen. Sie gleiten elegant durch die Lüfte über die Dünen hinweg Richtung Wattenmeer zum Frühstücken.

In den Gräsern, die aus dem Heidekraut und den Moosen herausragen, hängen noch Tropfen des frühen Taus. Sie blinken und blitzen überall und leiten das Licht der Sonne weiter und direkt in meine Augen. Zauberhaft zart verzückend. Ich bin eine Weile ganz gefangen von dem Anblick und entdecke immer noch mehr davon überall um mich herum.

Tautropfen im Glanz der Sonne

Ich träume mit offenen Augen und fühle mich ganz in meiner Mitte, ganz heil, ganz vollständig, ganz geborgen in dieser Weite und Schönheit, in diesem Glanz der Sonne, der Wärme des Lichts, in diesem uneingeschränkten Ja! zum Leben.

Ich staune und freue mich, und dann erfasst mich unendliche Dankbarkeit und Liebe für die Schönheit und die Wunder dieser Welt, bin mir selbst ein Wunder…

Nach langer Zeit erhebe ich mich und trage das alles mit mir nach Hause – tief in meinem Herzen bewahrt…

Zu Hause angekommen, freue ich mich über die ersten Blüten unserer Hortensien im Garten, über meine Kräuter und mein Holunder-Blüten-Gelee in den Gläsern in der Küche – und meinen Tee im Strandkorb – so früh wie noch nie!!!

Unsere Hortensien im Garten